Das Märchen vom
Ego und vom unbewußten Ich
Von Jan Erik SigdellGott betrachtete
Seine Schöpfung und fand, daß sie gut war. Es gab in ihr eine große Zahl
von Wesen, und alle trugen sie ein Samenkorn für das Wachstum zum
vollkommenen Guten in sich, einen Samen der Vollendung. Sie wuchsen
fröhlich, wie spielend, in einem Paradiese auf und hatten den freien
Willen, Entscheidungen zu treffen. Dadurch konnte jedes dieser Wesen
seinen eigenen Weges gehen, so wie es seiner eigenen Natur am besten
entsprach. Es geschah aber, daß
durch eben diesen freien Willen eines der Geschöpfe Gottes auf eine
schreckliche Idee kam. Es dachte:«Wie wäre
es, wenn wir uns von der Schöpfung emanzipieren würden? Könnten wir nicht
auch ohne Gott leben? » Und weiter: «Lasst
uns den freien Willen voll auskosten und uns unabhängig machen, wir wollen
unseren Weg selbständig gehen und alles selbst bestimmen. »
Das Wesen erzählte den anderen davon, und viele von ihnen interessierten
sich für seine Idee. Und sie gingen damit zu Gott. Gott wandte ein:
«Das geht nicht. Wir sind doch alle eins.
Wir können uns nicht voneinander trennen, denn dann würde der Fluss der
Lebenskraft im Universum unterbrochen, und ihr könntet nicht mehr
existieren. » Aber das Wesen, das
auf diese Idee gekommen war, wollte das nicht so recht glauben. Es wollte
trotzdem versuchen, sie in die Tat umzusetzen. Einige der vielen
Geschöpfe, die sich zunächst für seine Gedanken interessiert hatten,
wandten sich dann wie der Gott zu, aber andere verschrieben sich ganz
dieser neuen Idee. Das Wesen, welches die Idee zuerst hatte, wurde nun zu
ihrem Führer: «Wenn es wahr ist, daß wir
einen freien Willen haben»,
so sagte es, «dann muss es möglich
sein! » Und Gott ließ es
geschehen. Die Abtrünnigen würden schon aus der Erfahrung lernen.... Aber mit einer solchen Idee könnten
sie in der Schöpfung viel Unheil stiften und die Heilige Ordnung stören.
Deshalb schuf ihnen Gott einen besonderen Raum, in dem sie ihre Idee
ausleben konnten. In diesem Raum waren sie vom Rest der Schöpfung
abgeschirmt - dieser und sich selbst zum Schutze. Dort konnten sie nun
ihre Illusion der Emanzipation von der Schöpfung
ausleben. Es wäre aber
unmöglich, daß sie auf diese Weise existieren könnten, ohne ununterbrochen
mit der göttlichen Lebensenergie verbunden zu sein. Wäre die Verbindung
nur für einen Moment unterbrochen, sie würden sofort aufhören zu
existieren. Es wäre dann, als ob es sie nie gegeben hätte. Darum musste
Gott sie über die Grenzen ihres Experimentierfelds hinweg weiterhin mit
seiner Lebensenergie versorgen. Damit sie sich jedoch
alle ungestört ihrer Illusion hingeben konnten, richtete Gott es so ein,
daß sie das Licht jener Energie nicht mehr sehen konnten. Er nahm ihnen
das Bewusstsein, mit Seiner Kraft verbunden zu sein. Auf diese Weise
entstand in den Wesen zum ersten Mal das unbewusste Ich - durch Abspaltung vom
bewussten Teil ihrer Persönlichkeit, der seither Ego genannt wurde.
Das Ego existierte fortan als jener Wesensbestandteil, der sich
selbständig glaubt und die Illusion der Trennung
durchlebt. Der Führer der Wesen
erkannte, daß eine Form von Lebens kraft in diesem Raum der vermeintlichen
Gottesferne notwendig war. Er fühlte sich voll von jener göttlichen
Energie, deren Ursprung nun auch ihm unbewusst war. Da er nicht sah, daß
es Gott war, der immer noch seine Kraft durch ihn weiter fließen ließ,
strahlte er vermeintlich seine eigene Energie auf diese Wesen aus. Er
fürchtete nämlich, daß sie ohne diese Energie zugrunde gehen würden und
für ihn verloren wären. Schließlich brauchte er sie aber für seine Idee,
denn was hätte er alleine davon? So strömte denn etwas
von ihm aus, das diese Wesen als Licht erlebten, und darum nannten sie ihn
«Luzifer», den Lichtbringer. Sie
befanden sich ja in einer Welt der Illusion und konnten nicht mehr sehen,
daß dies nicht das wahre Licht war, sondern eine abgewandelte Form von
Göttlichem Licht, das durch die Übermittlung ihres Führers in ihrer Welt
kreiste. Früher hatten sie alle die Früchte von Gottes Lebensbaum gegessen. Nun wussten sie nichts mehr von diesem Baum und aßen statt dessen die Früchte vom Baum der Illusion. Sie waren sich nicht mehr der Wahrheit bewusst und glaubten darum, dieser sei der Baum der Erkenntnis. So pflückt unser Ego
auch heute noch die Früchte vom Baum der Erkenntnis und weiß nichts davon,
daß er in Wirklichkeit der Baum der Illusion ist. Nur unser unbewusstes
Ich nährt sich beständig vom Baum des Lebens, da wir ja sonst keine
Sekunde länger existieren könnten. Die Welt der Illusion
verdichtete sich, und ihre Wesen bekamen physische Körper. Damit diese
fortbestehen konnten, wurden die Wesen in männliche und weibliche Anteile
geteilt - zwei verschiedene Aspekte Gottes, nach dessen Abbild sie ja
erschaffen waren. Da alles andere ihnen unbewusst geworden war, sahen sie
nicht, daß dieses Gottes Werk war. Er wollte ihnen damit den Fortbestand
eines Spielplatzes sichern, in dem sie weiterhin ihre Illusion durchleben
konnten. Und es war gut so, denn mit ihrem stark eingeschränkten
Bewusstsein konnten sie nicht mehr so viel Schaden anrichten - waren sie
doch von der Schöpfung mit großer Macht und großen Fähigkeiten
ausgestattet worden, die nun unerkannt in ihnen schlummerten. Die
physischen Körper hatten die Eigenschaft, daß sie nicht aus sich heraus
fortbestehen konnten. Alles in der physischen Welt unter liegt einem
Prozess des Verfalles. Diese Welt war ja nicht in der Schöpfung
vorgesehen, sondern sollte nur so lange existieren, bis die Wesen wieder
aus der Illusion herausfanden. Der Führer dieser Wesen war weit entwickelt
gewesen, als er auf seine unglückliche Idee kam. Er wusste mehr als die
anderen. So fand er in sich die Fähigkeit zu erschaffen und fügte zu der
materiellen Welt eigene Schöpfungen hinzu. Er hatte dabei die Vorstellung
von einem selbsterhaltenden Kreislauf von Lebensenergie. Ein verkörpertes
Wesen sollte die Körper anderer Wesen essen, um dann wiederum von anderen
gegessen zu werden. Dies war eine Methode, um trotz des natürlichen
Zerfalls des Physischen die vorhandene Energie zu erhalten. Wer gegessen
wird, übergibt damit Lebenskraft an andere. Wer andere Körper isst, kann
sich dadurch auf Kosten dieser Wesen deren Lebenskraft
einverleiben. Das Prinzip des
Tötens entstand, und damit das Fleischessen. Es verwirklichte sich
zunächst mehr zwischen Wesen verschiedener Arten, weniger innerhalb ein
und derselben Art. Damit entstand auch die Gier: «Ich will noch mehr Lebenskraft: von wem kann ich
sie nehmen? » - darin bestand von nun an das Bestreben
aller in jenem Kreislauf gefangenen Geschöpfe. In der Welt der Illusion
entstand das sogenannte Recht des Stärkeren. Aber auch verkörperte
Wesen besitzen außer ihrem physischen Leib noch ein Ich, einen Seelenkern
(wenn auch bei den Tieren und
Pflanzen in anderer Weise als bei uns Menschen, für die die Welt der
Illusion als geschlossener Spielplatz geschaffen wurde.) Wer einen anderen aß, konnte nur
die Lebensenergie seines Körpers in sich aufnehmen, nicht aber sein Ich.
Wenn ein Körper gegessen wurde oder durch den natürlichen Zerfall starb,
musste sich sein Ich davon lösen und zu einem neuen Körper weitergehen, so
daß es noch in der Welt der Illusion verweilen konnte, bis es eines Tages
aus ihr herausfinden würde. Zur Welt der Illusion
gehörte von nun an notwendigerweise die Reinkarnation, denn es bedarf
vieler Leben in Verkörperungen, bis eine Seele durch Entwicklung und Reife
die Bedingungen erfüllen kann, um diese Welt wieder verlassen zu dürfen.
Selbst wenn jemand die dafür notwendige Einsicht erreichte, hatte er
meistens noch an Belastungen aus vergangenen Leben zu tragen, so daß noch
einige verkörperte Leben nötig waren, um sich daraus zu befreien. Er
musste noch vieles wieder gutmachen und sich mit jenen Wesen versöhnen,
denen er Schaden oder Leid zugefügt hatte. Er musste auch alles
zurückgeben, was er genommen hatte und denjenigen verzeihen, die ihm Leid
zugefügt hatten. Mit der Zeit wurden
diese Wesen in der Welt der Illusion noch unbewusster, und das Ego
beherrschte sie ganz. Sie verstanden gar nicht mehr, wie untrennbar sie in
Wirklichkeit miteinander verbunden waren, und daß nichts auf eine andere
Weise je funktionieren könnte. Schon dadurch, daß wir essen, sind wir mit anderen Wesen verbunden - und mit der ganzen Natur, die für alle gemeinsam materielle Nahrung bietet und sie miteinander verbindet. Überall in ihr liegt Göttliches Licht verborgen. Wären wir in unserem Bestreben nach Emanzipation konsequent, müssten wir aufhören zu essen. Dies würde einen langsamen Tod für den Körper bedeuten. Ja, wir müssten auch aufhören zu atmen, denn die Atmung verbindet uns mit allem, was atmet. Ein schneller Tod! Der «Lichtbringer», der uns nur
scheinbares Licht gab, war uns in der Entwicklung weit voraus, als er
durch seine Idee von Gott abfiel und uns im Fall mitnahm. Er versteht mehr
als wir an deren, er versteht auch, daß er nicht ohne uns sein kann, und
will deshalb keinen von uns verlieren. Darum verstärkte er in uns die
Illusion noch mehr und machte es uns so schwer wie nur möglich, aus dieser
Welt herauszufinden. Er machte in uns die Gier nach Besitz und Macht
größer, um uns noch stärker an die Welt der Illusion zu binden. Dadurch
haben wir nur um so mehr wieder gutzumachen, bevor wir hier herauskommen
können. Für das Begleichen «alter
Rechnungen« benötigen wir aber noch mehr Zeit, und in dieser Zeit
laufen wir Gefahr, wieder rückfällig zu werden. Es gelang Luzifer
sogar, den unbewusst in uns vorhandenen Begriff von Lebenskraft, von
Lebensfähigkeit so sehr mit dem Materiellen zu verbinden, daß das Ego
glauben konnte, die Materie sei das Wichtigste im Leben. Er ließ uns in
dem Wahn, daß die Lebensfähigkeit besonders mit solchen Dingen zu tun
hätte, die beständiger als unser Körper sind. Wir entdeckten, daß Gold und
wertvolle Steine viel unvergänglicher sind als alles andere in der
materiellen Welt. Gold rostet nicht, Edelsteine verwittern nicht. Sie
bleiben auch dann noch schön, wenn alles andere vergeht. Unsere Gier
richtete sich seither besonders auf diese Materialien. Wir wollten davon
so viel wie nur möglich haben, in dem Wahn, dadurch stärker und
lebensfähiger zu sein oder zumindest bequemer leben zu
können. Wir wissen ja nichts
mehr davon, daß wir irgendwann alles zurückgeben müssen - wenn nicht in
diesem, dann in einem anderen Leben. Wir schreckten nicht einmal davor
zurück, anderen das Leben zu nehmen, um ihnen den materiellen Besitz zu
rauben, den wir selbst nicht hatten. Um so mehr haben viele von uns bis
heute zurückzuzahlen und wiedergutzumachen. Denn auch die Leben, die wir
anderen einst nahmen, müssen wir zurückgeben. ( Oft müssen wir jene Seelen
später als unsere Kinder zeugen und aufziehen.) Niemand kommt hier heraus. bevor er seine Schuld bis
zum letzten Pfennig zurückgezahlt hat. Je länger dieser
Prozess dauert, desto besser für den Lichtbringer. Er weiß nämlich,
daß er am Ende selbst alles, was er genommen hat, an die Schöpfung
zurückzahlen muss, und davor graut ihm. Zuerst gab es nur
einen Weg, um aus dieser Welt herauszukommen: einen eigenen, persönlichen
Weg der Einsicht, Bewusstwerdung und Begleichung der »offenen Rechnungen».
Mit der Zeit wurden es aber immer weniger, die hier herausfanden, denn der
«Lichtbringer» erfand immer mehr Mittel, um uns an die Welt der
Illusion zu binden. Gott sah, daß die
Verhältnisse sich für die Seelen zu sehr verschlechterten, und sandte
Botschafter, um die Menschheit auf das Vergessene wieder aufmerksam zu
machen. Um diese Gottesboten herum entstanden mit der Zeit
Glaubenssysteme, Religionen, von welchen sich der «Lichtbringer» bedroht sah. Er säte deshalb
Zwist und Missverständnis. So wurden die Lehren durch menschliche
Schwächen entstellt, und jede Gruppe hielt schließlich die Überzeugungen
der anderen für Irrlehren, ob wohl sie ursprünglich das gleiche gelehrt
hatten, nur eben in anderer Form. Einer der Gottesboten
wurde der Buddha, der Erleuchtete, genannt. Er lehrte die Menschen
Erkenntnisse über den Weg aus der Illusion, die in Vergessenheit geraten
waren. Er sprach nicht direkt von Gott, denn das war nicht nötig. Er
wusste ja, daß jeder, der den Weg zum Ursprung zurück betritt, Gott früher
oder später selbst entdecken würde. (Und selbst entwickeltes
(Gottesbewusstsein ist weit mehr wert als jede gelernte Theorie über
Ihn.)Er sprach vielmehr von den wichtigsten Bedingungen für das Begehen dieses Weges: Liebe
und Mitgefühl. Dies sind die wahren Schlüssel zur Befreiung, ohne die
niemand je herausfindet. Was der Buddha
lehrte, geriet mit der Zeit in Vergessenheit.
Es entstand nun ein
zweiter Weg aus dieser Welt heraus: der Weg der Gemeinschaft durch die
Kraft der Liebe. Jesus lehrte die Liebe und lebte sie uns auf der Erde
vor. Die Christuswesenheit als Ganzes musste mit demjenigen den Kampf
aufnehmen, der bisher der Herrscher dieser Welt gewesen war. Bei diesem
Gefecht war der verkörperte Mensch Jesus ihr irdischer «Heerführer». Jesus
wusste, daß er selbst nie sterben könne, daß sich vielmehr nur sein
Körper, seine physische Hülle auflösen würde. Und dennoch versuchte der
«Lichtbringer», ihm dieses Bewusst sein zu verdunkeln - wie wir
wissen, ohne Erfolg. Jesus opferte seinen
Körper für die Menschheit; durch die Kreuzigung Jesu gewann Christus den
Kampf und eroberte die eigentliche Macht über die Erde. Der
«Lichtbringer» aber dachte nicht daran, kampflos aufzugeben. Es
gelang ihm, den Christusimpuls auf verschiedene weltliche Institutionen zu
zersplittern. Diese kamen durch Intoleranz, Machtstreben, Konkurrenzdenken
und Habgier immer mehr dahin, daß sie dem «Gegenspieler» dienten, anstatt
jenem Herren, dem sie sich ursprünglich verschrieben hatten, dessen
Botschaft sie aber immer weniger verstanden. So wurde auch der
Gedanke der Gemeinschaft mit der Zeit missverstanden, und man fing an zu
glauben, daß zur Gemeinschaft nur die eigenen Glaubensbrüder gehörten -
nicht aber die ganze Menschheit, also auch jene, die anders dachten,
aussahen, sprachen und lebten. Der Christusimpuls
ist ein Same in der Seele eines jeden Menschen, der allmählich anfängt zu
wachsen - zunächst größtenteils außerhalb jener irregeführten
Institutionen. Der «Lichtbringer» ist allerdings immer noch stark
und bemüht sich nun noch intensiver um die Seelen, die mit ihm fielen - um
uns ! Er baut mit aller Kraft die Illusion von materiellem
Wohlstand durch Wissenschaft und Technik auf, die zu den Eckpfeilern
seines Einflusses gehören. Zwar ist unsere Wissenschaft im Grunde
wertneutral, denn sie beruht auf (wenn auch begrenzten) Kenntnissen der
materiellen Gesetze in dieser Welt; in der Art jedoch, wie wir sie
interpretieren und aufgrund unserer wahnwitzigen Gier destruktiv
missbrauchen, bedeutet sie nur einen «Fortschritt» auf dem Weg der
Zerstörung. Was aber wahre
Wissenschaft ist, nämlich die Liebe zu und die Kenntnis von Gott, Seiner
Schöpfung und Seinem wahren Licht, macht der «Lichtbringer»
lächerlich und verdreht er im Bewusstsein der
Menschheit. Wir sind durch seine
sogenannte Wissenschaft so stolz und überheblich geworden, daß wir nun
unter ihrem Banner drauf und dran sind, unseren ganzen Planeten zu
vernichten. Die Zerstörung, der wir auf diese Weise den Weg bereiten,
bedeutet jedoch auch die Zerstörung des Reiches des «Lichtbringers»
auf Erden, das er in einem letzten ohnmächtigen Aufbäumen zu opfern bereit
ist. Aus den Trümmern dieser Katastrophe jedoch wird der Same des
Christusimpulses in den Herzen einer neuen Menschheit
aufgehen. So weit ein Märchen, das vielleicht nicht nur ein Märchen
ist, sondern auch ein Teil unserer eigenen
Geschichte.
Jan Erik Sigdell, geb. 1938, ursprünglich Diplom-lngenieur für Elektronik und Medizintechnik, war lange Zeit erfolgreich in der pharmazeutischen Industrie tätig. In den USA lernte er durch Bryan Jameison die Reinkarnationstherapie kennen. Seit fünf zehn Jahren arbeitet er als Rückführungstherapeut, Fachautor und gefragter Referent auf internationalen Fachkongressen. ©
2007 |